Wo sind sie?

von | Jun 23, 2022 | Blog

Der Generalsekretär der Gesellschaft über Queerness und Literatur

Viele sind es nicht, die man auf dem Weg der Literatur durch die Zeiten findet und die, nach heutiger Lesart, queer genannt werden können. Einige natürlich kennt man: Oscar Wilde, William Shakespeare, Thomas Mann, Ruth Margarete Roellig, Sarah Waters, Audre Lorde, Sappho (natürlich) und einige Dutzend andere. Kaum sind, was den Zeiten wohl geschuldet ist, Transpersonen unter ihnen, kaum auch non-gender-Personen. Auch in der aktuellen Literatur sind sie kaum zu finden. Jayrôme Robinet als transexuelle Person, Julia Serano als ebensolche. Eine der wenigen Personen, die die Genderzuordnung zwar von Außen, wegen der Lesung der eigenen Person, akzeptieren, gleich wohl sich aber weigern, einem Gender zugeordnet zu werden, bin sicher ich. Mir, und vielen anderen, die sich so definieren wie ich, ist letztlich egal, ob diese Nichtzuordnung als agender, genderfluid oder Proxvir bezeichnet wird. Wir sind, ich auch aufgrund meiner pansexuellen Sexualität, Teil der Queerszene.

Wir kommen aber auch in unserer eigenen Literatur nicht vor. Jene Queere, die sich nicht im Rahmen üblicher und von der Mehrheitsgesellschaft erkennbaren Homosexualität definieren schreiben offenbar kaum über sich selbst und ihresgleichen. Es mag hie und da einen Roman, eine Novelle, ein Band mit Lyrik geben, der dann jedoch als Ausnahme die Regel bestätigt. Diese Kritik trifft mich selbst zu allererst. Denn obwohl ich über Sexualität ja schreibe, schreibe ich kaum fiktional über Menschen wie mich.

Für viele Queere, auch für mich, gehört die Freiheit der Sexualität zum Wesensmerkmal einer freien Gesellschaft. Selbstverständlich muss die Freiheit der Sexualität in den schützenswerten Rechten anderer ihre Grenze finden. Das eigentliche Mißverständnis ist jedoch, ein eigentlich alberner Umstand, dass die Freiheit der Sexualität mit dem Zwang zur Sexualität verwechselt wird. Denn natürlich bedeutet gesellschaftliche sexuelle Freiheit, dass auch Asexuelle ohne Druck von Außen frei sein dürfen. Ich engagiere mich vielfach im Bereich des Sex-Positivism, also der Gegenbewegung zur wieder aufkommenden Prüderie, die für mich und viele andere ja eine eklatante Freiheitseinschränkung bedeuten würde.

Louise Aston hat sich schon in der Mitte des vorvorigen Jahrhunderts für die Freiheit der Sexualität eingesetzt. Sie war viel mutiger als ich. Vielleicht so mutig, wie die Geschwister im Iran und im Irak, in Syrien und Saudi-Arabien, auch wenn sie nicht konkret mit dem Tod bedroht war, so hat ihr Einsatz doch erheblich zu ihre völligen Verarmung beigetragen. Für sie, für Louise Aston, gehörte zur Demokratie auch Homosexualität, Bisexualität und vielleicht auch das Leben in einer transierten Identität.

Leander Sukov

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